Part I Schmetterlinge und Märtyrer
Wenn ich sage, dass ich freie Autorin bin, also einerseits meine eigenen Geschichten schreibe und andererseits Auftragsarbeiten im Bereich Ghostwriting, Lektorat und Werbung übernehme, variieren die Reaktionen erheblich:
„Oha, voll schön, lebst deinen Traum!“
„Ich könnte das nicht!“ – Trivial, ich kann auch nicht alles. Deswegen basiert die Gesellschaft seit Jahrhunderten auf Arbeitsteilung. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass ich als Assistenz der Geschäftsleitung, Klempnerin oder Buchhalterin eine Niete wäre. Daher übe ich diese Jobs nicht aus.
„Aber … Geld?“ – Formuliere daraus einen ganzen Satz, und wir können sogar eine ernsthafte Unterhaltung darüber führen, wie man mit dem Schreiben Geld verdienen kann.
Spaß beiseite. Die Wahrnehmung dessen, was ich täglich so mache, ist ein ambivalentes Zerrbild. Während die einen denken, kreative Arbeit bedeute hauptberuflich Schmetterlinge zu fangen, halten die anderen mich quasi für einen kreativen Märtyrer. Als würde ich mich vollkommen für die Kunst opfern, weil ich eben nicht anders kann, auch wenn ich dabei aufs Zahnfleisch gehe. Aha.
Spoiler: Es ist natürlich weder noch. Aber wie fühlt es sich denn an?
Part II: Die Wirklichkeit ist selten sexy
Vor etwa 4 Jahren versuchte ich, mich langsam wieder dem Ausdauersport anzunähern. Wir schrieben das Jahr 2019, es war ein langer, dunkler Winter, und meine körperliche Kondition war miserabel – was echt noch höflich ausgedrückt ist.
Nach mehreren Jahren chronischer Schmerzen hatte ich endlich eine erfolgreiche Behandlung hinter mir. Der Preis dafür: Die Medikamente drückten meinen Kreislauf herunter, sodass ich jeden Morgen um acht Uhr vielleicht geistig wach war, mein Körper sich aber anfühlte wie eine Schildkröte in Winterstarre. Mein Arzt empfahl mir, mich langsam wieder an die körperliche Fitness heranzutasten und oft laufen zu gehen.
In einer Sitcom würde man an dieser Stelle den Zeitraffer sehen. Trainingseffekt innerhalb weniger Wochen. Haha. Die Wirklichkeit ist selten sexy. Auf meinen ersten Läufen schaffte ich nur absolute Witzstrecken um den Block, was mich ein paar Mal so sehr anstrengte, dass ich mich heimlich in einen Mülleimer oder ein Gebüsch draußen auf dem Feld übergeben musste. Einmal ging ich an einer Kita vorbei, ein 3-jähriges Kind zeigte auf mich und fragte laut: „Mami, warum ist die Frau so schlecht?“
Das nennt man wohl einen Ego-Boost.
Es dauerte Wochen, bis mir nicht mehr von der Anstrengung übel wurde. Monate, bis ich nicht mehr keuchend und fertig mit der Welt nach Hause kam. Und ein ganzes Jahr, bis ich tatsächlich mal so etwas wie einen Trainingseffekt erleben durfte. Zwei Jahre, bis aus mir eine gute Ausdauersportlerin wurde, der es wirklich Spaß macht, Schwimmen, Laufen und Fahrradfahren zu trainieren. Die sich beim Training tatsächlich glücklich fühlt. Und ähnlich wenig glamourös ist es, in einer kreativen Disziplin besser zu werden.
Part III: Die Sache mit der Anerkennung
Ich schreibe schon sehr lange – beruflich inzwischen seit sechs Jahren. Wenn du noch am Anfang stehst und in einer kreativen Disziplin besser werden möchtest, hab‘ ich also ein paar Ratschläge auf Lager.
1. Wenn du anfängst, erwarte keinen Geniestreich. Deine ersten Versuche, sei es in der Musik, beim Zeichnen, Malen, in der Bildhauerei, Fotografie oder im Schreiben, werden ungeschickt sein. Weil Geschick eben durch jahrelange Übung entsteht. Vermutlich wird dich auch erst einmal niemand erst nehmen. Das Gute ist – du kannst dich selbst ernst nehmen. Zumindest deine Entwicklung und dein Ziel, täglich besser zu werden.
2. Wenn du weitermachst, erwarte keinen sofortigen Beifall und lerne stattdessen, Zweifel auszuhalten. Und ich meine damit nicht, dass du keine Fortschritte machst – sicher machst du welche. Nur funktioniert die Welt so nicht. Die Sache mit der Anerkennung ist die, dass wir sie häufig erst im Nachhinein erhalten. Also dann, wenn wir sie gar nicht mehr brauchen.
Vor vier Wochen bei einem Lunchdate klopfte mir eine Bekannte auf die Schulter: „Ich finde es zielstrebig, dass du schon während des Studiums das mit dem Schreiben so verfolgt hast.“
Und ganz ehrlich – ich fand das nett von ihr. Nur bin ich mir sicher, dass damals im vierten Bachelor-Semester Germanistik das so gut wie niemand über mich dachte. Stattdessen hielten viele andere Studierende vom Heidelberger Seminar mich bestenfalls für eine ambitionierte Teilzeit-Tippse. Ein Dozent verpasste mir sogar den ziemlich schmeichelhaften Spottnamen „Käthchen von Heilbronn“. Yeah.
Was ich damit sagen will: Wenn du deine kreative Arbeit ernsthaft weiterverfolgst, wirst du dich jahrelang in Geduld üben. Und darin, Zweifel auszuhalten – damit meine ich sowohl deine eigenen als auch die der anderen.
Part IV: Ein roter Faden
Was mich wieder zum Vergleich mit Ausdauersport bringt. Denn egal, ob du versuchst, deine Laufstrecke endlich besser hinzubekommen oder ein*e besser*e Autor*in, Künstler*in oder Musiker*in zu werden. Die Fragen, die du dir auf dem Weg stellst, sind sich überraschend ähnlich:
„Warum dauert das so lange?“
„Schaff ich das?“
„Bin ich einfach nur zu schlecht?“
„Warum lachen die über mich?“
„Was mach ich hier eigentlich?“
Es ist nicht 24/7 Begeisterung und Motivation. Oft bist du nicht on fire, sondern glimmst eher schwach vor dich hin. Und manchmal kommt die Freude erst dann, wenn du einen Blick zurückwirfst und dir anschaust, was du schon geschafft hast.
Es ist aber durchaus: Ein roter Faden. Egal, wie unvorhersehbar und verworren dein übriges Leben ist, kannst du dich an dieser Herausforderung erproben. Wenn du nicht nur ein kreativer Mensch bist, sondern auch einer bleibst, beweist du dir selbst etwas sehr Wichtiges: Dass du nicht einfach aufgibst, sobald es mal schwierig wird. Und dass du immer etwas mit deiner wertvollen Lebenszeit anzufangen weißt.
So fühlt es sich an.
Part I: Ist #foodporn oberflächlicher als ein Stillleben?
„Meine Nichte hat‘s mir erklärt. #foodporn heißt das. Ich habe mich als Erstes gefragt, ob das überhaupt jugendgerechte Inhalte sind. Aber es sind wohl einfach hübsch hergerichtete Speisen, die man dann fotografiert und auf instagram postet. So ganz verstanden habe ich es nicht. Jede Generation hat wohl ihre exhibitionistischen Tendenzen“, meinte Prof. Dr. A. und reichte die Textblätter für den Lektürekurs im Seminarraum weiter.
Ich weiß nicht mehr, wie meine damalige Professorin und außerdem Leiterin des Germanistischen Seminars in Heidelberg darauf kam. Immerhin saßen wir in einem Lektürekurs über deutsche Literatur zwischen den beiden Weltkriegen. In der restlichen Stunde ging’s jedenfalls wieder um Gottfried Benns opportunistische Abwärtsspirale im Jahr 1933.
Gegen Ende der Stunde trat ich nach vorne ans Pult. Prof. Dr. Albrecht arbeitete die Anwesenheitsliste ab. Ihr Kugelschreiber drückte kleine rote Kreuzchen in die freien Fenster.
„Frau Bender, haben Sie noch eine Frage zu Ihrer Seminararbeit?“, fragte sie direkt.
„Nein. Eher eine Antwort auf ihre Frage, was das mit dem Foodporn soll“, meinte ich.
Sie schaute zu mir und strich sich das graue, messerscharf geschnittene Haar hinter die Ohren. Normalerweise verließ ich immer direkt den Seminarraum. Im Germanistikstudium war ich alles andere als ein teacher’s pet – und konnte sehr gut damit leben. Aber die Kurse bei Prof. Dr. A. hatte ich immer gemocht. Mir gefiel ihre analytische, gelassene Art, die sich von vielen der älteren, konservativen Dozenten unterschied.
„Ich höre.“
„Wenn man es genau nimmt, ist die Idee nicht neu. Mein Zweitfach ist Kunstgeschichte. Essensstillleben aus dem Barock finden Sie in jedem Kunstmuseum. Entwickelt haben das niederländische Maler aus dem 17. Jahrhundert. Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen waren die Meister aus dem Norden bekannt dafür, Materialien besonders realistisch darstellen zu können – also Stoffe, Metalle, Glas oder eben Essen. Zum anderen konnte man damit Reichtum und Überfluss in unsicheren Zeiten darstellen. Es war ein Alleinstellungsmerkmal, sich üppig gedeckte Tafeln, tropische Früchte und guten Wein zu leisten.“
Ich schulterte meine Tasche.
„Und ich glaube, #foodporn auf instagram ist dem Ganzen nicht unähnlich. Es geht schon um das Fest der Sinne, um die Begeisterung fürs Essen, aber nicht nur. Menschen definieren sich oft über das, was sie essen. Ebenso über das, was sie nicht essen. Es geht um Identität. Manchmal auch um Macht und Selbstüberhöhung. Den Restaurantbesuch muss man sich leisten können, ebenso wie den Bio-Laden. Und wer nicht selbst kochen kann, schafft es auch nicht, das Essen fotogen aussehen zu lassen.“
Sie lehnte sich zurück und nickte.
„Interessant. Danke.“
„Gern. Bis zum nächsten Mal“, ich nickte ihr zu und trat hinaus auf den Flur.
Part II: Das defensive Abendmahl
Was wir essen, was wir nicht essen. Welches Essen wir demonstrativ konsumieren und welches heimlich – das Thema ist immer präsent. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, es ist beinahe unmöglich, mit anderen Menschen zusammenzutreffen und das Thema Ernährung nicht anzuschneiden.
Wenn ich mit meiner Bekannten im Café sitze, bestellt sie nicht einfach das vegetarische Sandwich – sie muss mir dann auch lang und breit erklären, warum sie jetzt #veganuary macht. Eigentlich habe ich nicht gefragt.
Wenn mein entfernter Cousin auf der Grillparty hört, dass der Salat vegan ist, schiebt er ihn demonstrativ weg und weigert sich zu probieren. Aus Prinzip, sagt er. Ich frage mich, was er damit meint. Neophobie? Angst vor Veränderung?
Wir sind bei Freunden eingeladen. Weil das Essen von Lieferheld noch nicht da ist, snacke ich ein paar Chips. Zumindest bis einer von ihnen mir die Tüte aus der Hand schnappt, auf die Zutatenliste kuckt und laut kommentiert: „Das ist schon echt totaler Mist, das Fett, das Salz, die ganzen Zusatzstoffe.“ Ich verspüre große Lust, den nächsten Kartoffelchip nach ihm zu werfen.
Nur um nicht missverstanden zu werden: Ich muss mir mit meinen Mitmenschen nicht über das Thema Ernährung einig sein. Ich bin weder überzeugte Veganerin noch extreme Fleischesserin. Pflanzenmilch trinke ich, weil sie mir besser schmeckt und ich die Laktoseintoleranz meines Vaters geerbt habe. Trotzdem finde ich die Lobeshymnen auf der Verpackung, ich würde mit einem Glas Hafermilch die Welt angeblich zu einem besseren Ort machen, albern. Süßes brauche ich nicht unbedingt, dafür könnte ich für knusprige belgische Pommes, frittiert in ungesundem Rinderfett, morden. Manchmal ist mein Appetit auf scharfe Sriracha-Soße größer als mein Magen. Essen sollte meiner Meinung nach vor allem schmecken und nicht fotogen sein. Schon mal versucht, Eintopf #instagrammable aussehen zu lassen? Aber das ist meine Empfindung – es ist mir relativ egal, wie andere Menschen das machen.
Früher habe ich die Besessenheit unserer Gesellschaft einfach abgenickt. Vermutlich habe ich das Muster auch ein paar Mal nachgemacht. Einfach aus Gewohnheit.
Inzwischen stelle ich mir Fragen:
Warum bestellt meine Bekannte nicht einfach das vegetarische Sandwich und fertig? Warum verzichtet mein Cousin nicht auf den Salat, ohne sich demonstrativ von Veganismus abzugrenzen? Und warum muss dieser Freund von mir die Kartoffelchips als „böses Essen“ bewerten, anstatt einfach andere Snacks zu essen?
Part III: Die passende Buchempfehlung: „Gesund genug“ von Ursula Fricker
Ein Perspektivenwechsel war für mich der Roman „Gesund genug“ von Ursula Fricker (Atlantis Verlag, Zürich, 2022). Das Buch ist eher kein Bestseller gewesen, wurde aber extrem positiv in der Literaturkritik besprochen. Ganz persönlich hätte ich mir für die Erscheinung mehr Aufmerksamkeit gewünscht, da ich die Lektüre bereichernd fand.
Die Erzählung beginnt damit, dass die Protagonistin Hanne einen Anruf erhält. Ihr Vater liegt im Sterben. Von ihrem Wohnort Berlin fährt sie zurück in die Schweizer Heimat, um ihn in seinen letzten Wochen zu begleiten. Todkrank liegt er im Bett, die einzige Lektüre, die er noch erträgt, sind die letzten Aufzeichnungen des gescheiterten Antarktis-Forschers Robert Scott. Und sobald Hanne und ihr Vater sich auf die literarische Reise zum Südpol begeben, zu einem Scheitern in unbarmherziger Eiswüste, flammt auch ein alter Konflikt zwischen Vater und Tochter wieder auf.
Denn ihre ganze Kindheit und Jugend lang hat der Vater seine Familie mit einem vollkommen übersteigerten Gesundheitswahn terrorisiert. Jahrzehnte bevor Vegetarismus und Konsumkritik die Runde machten und Alnatura-Märkte wie Pilze aus dem Boden sprossen, schafft ihr Vater sich klare Feindbilder: „Alle Welt wollte Alwin Tobler vergiften, insbesondere die Fleischlobby, die Zuckerlobby, die Pharmalobby, die Autolobby (…) Die Lösung? Verzichten. Auf alles. Für die Umwelt, für die Gesundheit. (…) Man zieht eine Grenze, man errichtet eine Mauer. Die dort, wir hier.“
Als Leser*innen verfolgen wir Hannes Lebensweg, beobachten, wie sie durch die Welt taumelt, erst in London, dann in Berlin abtaucht. Hanne verliebt sich, mehrmals, sucht Anschluss in Künstlerkreisen, tut alles, um sich von den familiären und inneren Zwängen zu befreien. Doch das ist keine lineare Entwicklung. So sehr Hanne den Extremismus ihrer Kindheit verabscheut, hat sie ihn doch verinnerlicht. Radikale politische Bewegung – sei es Ökos, christliche Fundamentalisten, Antifaschisten, IRA-Sympathisanten in London – sind für sie ein Magnetismus, von dem sie sich zugleich angezogen und abgestoßen fühlt.
Und manchmal holen die Ansichten ihres Vaters sie auch in ihrem künstlerischen, unkonventionellen Berliner Freundeskreis ein. Denn einige ihrer Freunde im Prenzlauer Berg verfallen dem neu aufkeimenden Gesundheitswahn. Für Hanne ist das eine Wiederholungsschleife, wenn es ihnen nicht reicht, auf Fleisch zu verzichten und im Bio-Markt einzukaufen – sie müssen jedem verkünden, der es nicht wissen will, dass sie nicht mehr „ihren Körper vergiften wollen.“
Ich beendete die Lektüre von „Gesund genug“ mit einem Gedanken:
Vielleicht geht es bei der Identifizierung über das, was auf dem Teller landet, um etwas anderes. Ein Thema hinter dem Thema, sozusagen.
Part IV: Das Pacman-Dilemma
Kennt ihr noch Pacman? Das japanische Videospiel aus den 80ern ist ein zeitloser Klassiker. Eine runde gelbe Spielfigur, Pacman, frisst sich durch ein Labyrinth, während er von Gespenstern verfolgt wird. Verzehrt er eine „Kraftpille“, kehrt sich das Szenario um und Pacman verfolgt die Gespenster.
Und vielleicht ist das defensive Abendmahl ein Pacman-ähnliches Dilemma. Solange man glaubt, zu sein, was man isst, verfolgen einen die Geister durch das Labyrith.
Ich kann die Sehnsucht, mit den eigenen Ansichten eins zu werden, verstehen, weil die Welt mit jedem Jahr komplexer wird. Es ist keine Entschuldigung für Radikalismus, für ein „Ich und die Anderen“-Feindbild, aber zumindest eine Erklärung. Nur führt diese Sehnsucht in einen Teufelskreis. Man wird zum Eiferer, weil man dazugehören will, grenzt sich aber letztendlich immer weiter ab. Bricht vielleicht sogar mit anderen Menschen.
Wer sich nicht verlieren will, muss lernen, den Kontrollverlust zu ertragen.